reviews

Laudation - Dr. Evelyn Weiss am Rednerpult

Laudatio von Dr. Evelyn Weiss

Anlässlich der Ausstellung der Werke von Pierluigi Guglielmo am 31. Januar 2007 im Universitätsclub Bonn

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

ich war etwas eingeschüchtert, als ich das Wort Laudatio in der Ankündigung gelesen habe, denn normalerweise ist das nicht ein Wort, dass man benutzt, wenn man jüngere und zeitgenössische Kunst ausstellt. Man macht eine Einführung, oder man macht manchmal auch gar nichts. Sie kennen alle die Vernissagen, wo man einfach nur rum steht, vor allem mit dem Rücken zu den Bildern. Das ist heute Abend doch ein bisschen anders.

Ich freue mich hier einen Italienischen Künstler vorzustellen, vor allem aber auch – ich bin ja auch ein bisschen stolz auf meine Wahlheimat Bonn – einen Bonner Künstler. Er lebt hier ganz in der Nähe und es ist doch immer wieder erstaunlich, dass es auch heutzutage noch unbekannte Künstler zu entdecken gibt.

Vernissage im Universitätsclub Bonn 2007 - Laudation Dr. Evelyn Weiss

Pierluigi Guglielmo ist jetzt so weit, dass er ein größeres Oevre vorstellen kann und wir warten eigentlich alle auf die große Retrospektive. Das, was Sie jetzt hier sehen, ist nur ein ganz kleiner Ausschnitt aus seinem Werk, aber ich werde versuchen, es so gut ich kann darzustellen. Schade, dass Sie die frühen Bilder hier nicht ausgestellt sehen können. Sie haben lediglich zwei Bilder im Eingangsbereich, die die Übergangsphase darstellen. Ich will versuchen, die Entwicklung ein wenig zu erklären, aber Sie wissen ja, Kunst kann man eigentlich gar nicht erklären. Sie ist eine Sprache, die man lernen muss. Wir können nur versuchen, eine kleine Brücke zu schlagen.

Seit dem 19. Jahrhundert sind deutsche Künstler, von Sehnsucht nach Licht und Wärme getrieben, in Scharen nach Italien gepilgert. „Kennst du das Land, in dem die Zitronen blühen?“ ist das Lied der langen Karawane vom Norden nach Süden. Die umgekehrte Richtung ist viel seltener eingeschlagen worden, bleibt eigentlich die Ausnahme. Bis auf einige Futuristen, die über Paris nach Deutschland sporadisch zu Besuch kamen, sind keine Reisebewegungen bekannt. Pierluigi Guglielmo hat die Überquerung der Alpen in den Norden gewagt. Er hat als Maler der strahlenden südlichen Landschaft den Rücken gekehrt. Er hat sich von der etwas betulichen römischen Kunstszene losgesagt, von einer schönen Malerei, die sich gerne in einer diffusen Rhetorik und einer gegenstandslosen Mystik verlor, verabschiedet.

Die Begegnung mit der Kunstszene der 80ger Jahre in Deutschland war gewaltig und für Guglielmo ein Glücksfall. Er sagt selber zu dieser Zeit: „La venuta in Germania è stata anche la scoperta di un modo di dipingere che mi ha catturato molto presto, i colori sofferti – le ruggini, dicevo io – la presenza cosciente della storia come dibattito e dilemma. La forza di quella generazione di nuovi selvaggi mi faceva sentire a casa mia“. Casa mia, also zu Hause, Guglielmo war bei sich angekommen. Die Begegnung mit der gewaltigen deutschen Kunstszene, Malerszene der achtziger Jahre.

Diese Wucht der 80ger Jahre hat ihn mitgerissen, die deutsche Kunstszene hat ihn deutlich geprägt. Er selber sieht hier und zu dieser Zeit seine Geburtsstunde als Künstler. Mit seinen Worten: „L’enfasi, il lavoro artistico di quelli anni ottanta in Germania mi ha coinvolto e credo di essere un artista fondamentalmente nato in quel periodo e qui, in Germania”.

Er ist als Künstler hier in Deutschland geboren. Der Italiener in Deutschland: Im Falle von Guglielmo scheint der Begriff so gut zu passen, mit dem der kürzlich verstorbene Ausstellungsmacher Harry Szeemann seine Tätigkeit bezeichnete: Agentur für geistige Gastarbeit. Piero ist ein geistiger Gastarbeiter.

Natürlich blieb er seiner Heimat verbunden, er hat nie seine Wurzeln gekappt, er blieb in seiner Art, seiner Persönlichkeit, seiner Sprache durch und durch Italiener. Es ist ihm stets bewusst, woher er stammt, er sagt dazu: „Ich konnte doch nicht aus dem nichts kommen“, und stets verfolgt er die Geschichte seines Landes, die künstlerische aber auch politische und soziale Entwicklung seiner Heimat, die er aber immer weniger versteht. Manchmal geht es uns auch so. Mit einer Art Hass-Liebe beobachtet er diese Geschichte aus der Ferne, die ihm zuweilen geheimnisvoll, ja enigmatisch erscheint. Wichtig in diesem Zusammenhang sind die Graffiti mäßigen Inschriften, Wortfetzen, Buchstaben in fast allen seinen Bildern aus den letzen Jahren, die immer nur Fragmente bleiben, keine Bedeutung haben, keinen literarischen oder irgendwie erzählenden Inhalt vorweisen.

Der erste Eindruck der Bilder von Guglielmo ist der, von großflächigen, frei und ungestüm gestalteten Kompositionen, die aber bei näherer und längerer Betrachtung eine subtile, nicht unmittelbar wahrzunehmende Tektonik des Aufbaus erkennen lassen. Oft ist die Komposition zentriert, endet sogar einige Zentimeter vom Bildrand entfernt und scheint somit vor der Leinwand zu schweben, als gäbe es noch eine, oder mehrere Ebenen dahinter. Durch ständige Übermalungen und Farbschichten ergibt sich ohnehin eine Tiefenwirkung, ein Sog, der das Auge immer stärker in das Bild hineinzieht. Locker gesetzte, großzügige und freie Pinselstriche, manchmal fast Hiebe, kontrastieren mit den Buchstaben, Wortfetzen, Chiffren, Zeichen Kritzeleien, die immer wieder in die Leinwände eingeschrieben sind. So schnell wie Gedanken kommen und gehen scheinen sie hier für einen Augenblick sichtbar zu werden, um gleich wieder zu verschwinden.

Im letzten Jahr ist eine gänzlich neue Gruppe von Bildern entstanden, in der er sich sehr stark von seiner früheren Malerei entfernt hat. Von vielen Seiten her entfernt. Von der Stimmung, vom Colorit und von der Technik her. Guglielmo betritt eine neue Welt, die Formate reduzieren sich beträchtlich, die Leinwände schweben nicht mehr frei und anarchisch vor der Wand, sie sind sorgsam auf Keilrahmen fixiert, sie verschreiben sich einer Ordnung, welche Freiheit jenseits jedes chaotischen Zustands sucht. Früher waren die Bilder oft nicht auf Keilrahmen aufgezogen, sonder hingen einfach frei an der Wand.

Die Buchstaben, die Graffiti, die Inschriften werden immer mehr zurückgenommen und verdrängt, bis nur noch Erinnerungen, Zeichen und flüchtige Chiffren bleiben, die unter den lasiert aufgetragenen Farbschichten verschwinden. Man glaubt manchmal Buchstaben und Worte zu entdecken, aber es sind nur Ahnungen, die sich visuell schnell auflösen. Manchmal erscheinen auch kleinere Bilder, die in das Format eingeschrieben werden. Weiße Rechecke, mit oder ohne Motive, rätselhafte Bilder im Bild. Das Bild im Bild ist ein uraltes Topos der Malerei und hier huldigt der Künstler diesem alten Topos.

Verglichen mit den früheren Bildern erscheint der Farbauftrag leise. Die Farben scheinen die Leinwand zu liebkosen, leicht und zärtlich zu berühren. Die Pinselführung ist auf der letzten Schicht fast ausschließlich in horizontalen Strukturen sichtbar. Manchmal lassen die durchscheinenden unteren Schichten vertikale Elemente auftauchen oder herabtropfende Farbspuren – eine ganz zarte Andeutung von Dripping – kontrastieren leicht mit den generell horizontal angelegten Farbschichten.

Alles ist in diesen Bildern zurückgenommen, leise. Sie kommen so zu sagen auf Zehenspitzen daher, vor allem, wenn man sie mit der vorangegangenen Schaffensphase vergleicht.

Und zuletzt, aber eigentlich von Anfang an, diese Farbigkeit. Dunkel zunächst, beim ersten Zusehen, dann entdeckt man beim längeren und intensiverem Zuschauen, die hellen Streifen und Schichten, die sich von hinten zur Leinwandoberfläche hin nach vorne drängen und manchmal sogar eine glühende Farbinsel freilegen. Diese Farblichkeit ist wahrscheinlich das Hauptthema dieser Serie. Das Licht zu bannen und wiederzugeben ist die Sehnsucht von Generationen von Malern, von Tintoretto bis Rothko.

Und noch mehr erzählen diese Bilder von einer Reise, die der Künstler unternommen hat, um neue Ufer zu erkunden. Sich in Abenteuer zu stürzen, die ewigen Abenteuer der Malerei. Guglielmo hätte einen bequemeren Weg gehen können. Mit seinem Stil war er anerkannt, begann großen Erfolg zu haben, die Marke war da. Marktmäßig ist es ein riskanter Schritt, sich auf neue Ufer zu begeben. Aber diese Bilder erzählen fast schmerzhaft von dieser Sehnsucht, neues zu erkunden, sich zu verändern. Einer Sehnsucht nach Freiheit, ja sogar ein Recht darauf. Der Künstler selber hat das sehr schön formuliert. Ich zitiere: “Le mie opere cantano di un diritto, il diritto alla ricerca, cercare è andare, abbandonare, acquisire, tornare, cambiare, trovare, scoprire, coniugare attività che appartengono al normale repertorio del mio lavoro ma che dovrebbero anche essere possibilità per ogni essere”.

Also die Freiheit nicht nur des Künstlers, sondern auch die Freiheit für uns alle, und jetzt haben sie auch die Freiheit sich die Bilder noch einmal anzusehen und sich daran zu erfreuen.

Ich danke Ihnen
Dr. Evelyn Weiss

Dr. Evelyn Weiss
Geboren in Rom. Studium der Kunstgeschichte, Romanistik und Vergleichenden Religionswissenschaft an den Universitäten Bonn und Wien. Verlagstätigkeit in Paris. Kuratorin am Wallraf-Richartz-Museum, Köln. 1986-2003 Stellvertretende Direktorin am Museum Ludwig, Köln. Zahlreiche Ausstellungen und Veröffentlichungen im In- und Ausland, u.a. Kommissarin für Deutschland bei den Biennalen 1973, 1975 und 1989.

Consent Management Platform von Real Cookie Banner